Im Englischen gibt es die anschauliche Redewendung „give me a hand“, die die Möglichkeit andeutet, diesen Körperteil jemand anderem zur Verfügung zu stellen. Spinnt man diesen Gedanken weiter, erkennt man bald, wie praktisch es manchmal wäre, wenn Menschen ihren Körper teilen könnten, wobei damit nicht gemeint ist, sich metaphorisch zwischen zwei Tätigkeiten zu zersprageln, sondern dies auch physisch zu realisieren.

Im Englischen besitzt das Körperteilen übrigens Tradition, denn schon bei Shakespeare sagt Antonius zu Freunden, Römern und Landsleuten: „lend me your ears“. Wie das geendet hat, weiß man. Dieses spezielle Ohrenververleihen wäre etwa für Spionagetätigkeiten geeignet, denn dann bräuchte man sein Ohr nicht an die Wand pressen, sondern könnte es bequem im Nachbarzimmer unter dem Bett oder in einem Lampenschirm verstecken.

Bildlich erfahren sich Menschen ohnehin häufig als geteilt, denn wie oft kann man von anderen hören, dass man zwar anwesend aber mit dem Kopf ganz wo anders sei. Aber zurück zum Konkreten, zum Praktischen: Man stelle sich vor, dass man einfach seine Hand oder auch nur ein paar Finger ausklinken könnte, damit sie am Rücken an jener Stelle kratzen, an der es gerade schrecklich juckt, und die man aufgrund der üblichen anatomischen Gegebenheiten nicht erreichen kann. Es sei denn, man wäre ein Gummimensch, aber das ist kurzfristig nicht machbar.

Für korpulente Menschen ist es sicherlich bequem, könnten sie die Füße abmontieren und die Zehennägel gemütlich in Augenhöhe schneiden; oder die Hände mit der Schere nach unten schicken, was aber nicht ratsam scheint, denn man sollte mit den Augen doch eine gewisse Kontrolle behalten. Möglich ist natürlich, ein Auge zu den Füßen mitzuschicken, allerdings fehlt dann die vielleicht für einen adäquaten Zehennagelschnitt notwendige dreidimensionale Perspektive. Gleiches gilt für das Nägellackieren.

Man muss auch an raffinierte Möglichkeiten denken, etwa jemandem aus der Entfernung ein Haxl zu stellen, während der Rest ganz arglos an einer Wand lehnt und „Alle meine Entchen“ pfeift. Man könnte jemandem die Faust aufs Auge drücken, während man scheinbar genüsslich an der Bar seinen Whisky on the Rocks trinkt. Problematisch könnte das nur in einem Saloon werden, wenn sich die laut Westernfilmen übliche Prügelei mit selbstständigen Fäusten oder Füßen ergibt, bei der der eine oder andere Beteiligte gar nicht mehr weiß, warum gerade seine Faust auf dem Schädel eines Kartenspielers oder sein Fuß auf dem Steiß des Sheriffs oder seine Finger im Dekolleté der Bardame landen. Peinlich könnte es werden, wenn die eigene Faust auf Grund ihrer Rage und im wahrsten Sinn des Wortes blind vor Wut den eigenen Körper malträtiert. Ich glaub, mich tritt mein Pferd.

Bleiben wir bei den positiven Möglichkeiten: Eine Frau oder ein Mann muss vor dem Rendezvous keinen Spiegel oder wie heute üblich die Selfiekamera des Smartphones nutzen, um die eigene Erscheinung zu überprüfen. Sie könnten einfach mit ausgeklinkten Augen in einer Entfernung von ein paar Metern sich selber von allen Seiten begutachten; abgesehen von den Augen natürlich, aber daran kann man sich ja vielleicht gewöhnen. Ein weites Feld an praktischen Möglichkeiten ergibt sich natürlich für den Bereich der menschlichen Beziehungen, wobei sich das in Abstufungen von oberflächlichen bis zu leidenschaftlichen Verhältnissen darstellt. Die angenehmen Seiten sind dabei offensichtlich – detaillierte Spielarten kann ich gerne der Phantasie der Leserinnen und Leser überlassen. Im Wortsinne zwiespältig ist Körperteilen aus der Perspektive der ehelichen Treue, wenn z. B. ein Mann zu Hause bei seiner Angetrauten beim Abendessen sitzt, und diese moniert: „Ist dein Unterteil schon wieder bei der Nachbarin?“

Wenn man das hier dargelegte Prinzip des Körperteilens nicht nur auf Extremitäten beschränkt, sondern auf Innereien ausdehnt, könnte ein Alkoholiker seine Leber auf Entzug nach Kalksburg schicken, während er seiner geregelten Arbeit nachgeht. Oder jemand schickt bei Problemen mit der Lunge diese auf den Zauberberg … Man könnte ein verletztes Glied einfach in einem Paket zum Arzt schicken, per Einschreiben, versteht sich. Das wäre auch bei einem eitrigen Backenzahn praktisch, sofern dieser den Schmerz mitnimmt. Die moderne Prothetik ist dabei auf einem guten Weg.

An dieser Stelle kommt die durchaus nicht irrelevante Problematik ins Spiel, wenn man vergisst, wo man einen seiner Körperteile abgelegt oder wohin man einen anderen geschickt hat. Darüber sollte man akribisch Buch führen oder zumindest GPS-Ortung einsetzen: „Alexa, find my left foot!“ Und nicht zuletzt zu den letzten Fragen: Was passiert, wenn einen Menschen der Tod ereilt und ein wesentlicher Körperteil ist gerade unterwegs? Oder wenn einige Teile den Rest überleben und fortan nicht nur sprichwörtlich ein Eigenleben entwickeln? Wie wird sich das beim Letzten Gericht darstellen? Kommt ein Teil ins Paradies und ein anderer in die Hölle? Oh Gott!


Verfasst für etcetera 74 – Körper:Teile. Von Monstern und …