Der Wettbewerb war ihm nicht unbekannt. Ein kleiner Preis, regional, ordentlich dotiert – und mit der alljährlichen Tendenz zur Selbstüberhöhung. Der Autor, von dem hier die Rede ist, hatte in seiner Karriere mehr Preise gewonnen, als ihm lieb war. Landesstipendien, Stadtschreiberstellen, Literaturhäuser in Häfen, Wäldern und Schluchten. Seine Regale standen voll mit gravierten Glaswürfeln und handgetöpferten Ehrenobjekten, die er nur unter Protest angenommen hatte. Er war ein Vielgewürdigter. Und mittlerweile: ein Ermüdeter.
Aber der Wettbewerb, so versicherte man ihm, sei originell. Diesmal lautete das Thema:
„Ein violetter Knopf.“
Das war offen, dachte er. Und gefährlich. Genau sein Terrain.
Er schrieb. Drei Tage, dann war der Text fertig – aufgeräumt, mehrdeutig, funktional. Er wusste, was er tat.
Die Teilnahmebedingungen las er trotzdem – eine lästige Gewohnheit aus der Zeit, als man sich noch bewerben musste. Er las sie gründlich. Und seufzte. Kein KI-Einsatz (selbstverständlich), keine Mehrfachveröffentlichung (natürlich), keine Nennung des Namens im Dokument (naja). Die Texte würden von einer ehrenamtlichen Jury gelesen, hieß es, und nur berücksichtigt, wenn der Autor oder die Autorin verbindlich zusichere, bei der Lesung im November persönlich anwesend zu sein.
Der genaue Termin werde allerdings noch nicht bekannt gegeben.
Man solle sich aber jetzt überlegen, ob man dann anreisen könne.
Falls nicht, möge man seine Einreichung vor Ablauf der Frist zurückziehen.
Die Preisvergabe finde ausschließlich vor Ort statt.
Sollte jemand fehlen, rücke der Nächstplatzierte auf.
Der Rechtsweg sei ausgeschlossen.
Und der Zwischenweg offenbar auch.
Er lachte. Leise. Und formulierte eine höfliche Rückfrage. Ob man denn, ganz vorsichtig gefragt, vielleicht wisse, an welchem Tag die Lesung stattfinden solle? Nicht die Uhrzeit. Der Tag. Es ginge um Züge. Und um das Finden eines Bettes in einem Ort, der in keinem Bahnplan zwischen Wien und Ljubljana verzeichnet war.
Die Antwort kam schnell, in freundlich-festlichem Ton.
Leider könne man derzeit noch keinen Termin nennen.
Aber man bemühe sich.
Er möge seine Bereitschaft zur Anreise bitte im Grundsatz erklären.
Der Lesungsbeginn sei jedenfalls um circa 16 Uhr.
Er antwortete nicht sofort. Trank Tee. Legte die Hände übereinander.
Dann schrieb er zurück, dass ihm die Uhrzeit tatsächlich ziemlich gleichgültig sei. Dass aber Tage in seinem Leben eine gewisse Funktion erfüllten – gerade im Hinblick auf Planbarkeit. Und dass es schwer sei, einen unbestimmten Termin zu bestätigen, der an einem unbekannten Ort stattfand, zu einem unbekannten Datum, unter unbekannter Beteiligung – aber mit der Voraussetzung, unbedingt dort zu erscheinen. Man könne ja schlecht verbindlich zusagen, wenn man noch nicht einmal wisse, ob der Termin mit der Taufe der Enkelin oder dem alljährlichen Zahnsteinentfernungskongress kollidiere.
Die nächste Nachricht war kürzer.
Man verstehe seine Bedenken, hieß es.
Aber: Es gehe um die Bereitschaft an sich.
Nicht um Gewissheit.
Man habe schlechte Erfahrungen gemacht mit Autor:innen, die nachgereicht werden mussten.
Daher diese zusätzliche Sicherheitsmaßnahme.
Man hoffe auf Verständnis.
Weitere Informationen gäbe es … demnächst.
Er lächelte. Es war kein bitteres Lächeln. Nur ein leises Kopfnicken gegenüber einer Welt, die zunehmend zwischen Regelwerk und Ritual zerrann.
Er wusste, dass er gute Chancen hatte.
Aber in Wahrheit war es ihm gleich.
Denn er hatte längst verstanden, was der „violette Knopf“ wirklich war.
Er reichte ein.
Natürlich.
Nicht, weil er wollte.
Sondern weil er sehen wollte, wie weit es noch ging.
Der violette Knopf war ein Thema.
Aber vielleicht auch schon das System.
Man durfte ihn nicht drücken.
Man durfte nur darüber schreiben.
Und hoffen, dass niemand am Ende nachfragt, ob er überhaupt da war.