Die Milch in der KĂŒche
war sauer geworden
ĂŒber Nacht.
Der fahle Tag
strich mit seinem Licht
durch die noch nachtblinden Scheiben
ĂŒber mein Fell.
In die erwachende Stille hinein
tappende GerÀusche
vom Schlafzimmer her.
Das Knarren der TĂŒr zum Bad,
alltÀgliches Ritual.
Nicht die Zeit wert,
hinterherzuschlendern.
Der sauren Milch wegen
durch den arglosen Spalt zwÀngend,
erblickte ich ihn.
Nackt.
In seinem Blick: Scham.
WÀr ich doch bei Schrödinger geblieben.

Derridas Katze

Veröffentlicht in Poesiealbum neu, Resonanzen, 1/2017, Lyrik & Wissenschaft, S. 39.

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[Verzeichnis der Texte]

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. Albert Einstein

    Man hat den Eindruck, dass die moderne Physik auf Annahmen beruht, die irgendwie dem LĂ€cheln einer Katze gleichen, die gar nicht da ist.

  2. Schrödingers Katze sagt:

    Schrödinger hat mich in eine Kiste gesetzt, zusammen mit einem radioaktiven Atom, einem GeigerzĂ€hler zum Messen von radioaktiven ZerfĂ€llen, einem Hammer und einem GiftflĂ€schchen. Wenn das Atom zerfĂ€llt, was zufĂ€llig jederzeit passieren kann und unvorhersehbar ist, aktiviert der GeigerzĂ€hler den Hammer, der das GiftflĂ€schchen zertrĂŒmmert, und ich muss sterben. Im VerstĂ€ndnis der Quantenphysik befindet sich das Atom, bis es beobachtet wird, in einem Überlagerungszustand von zerfallen und nicht zerfallen. Mein Zustand ist daher eng mit jenem des Atoms verbunden – Schrödinger prĂ€gte dafĂŒr den Begriff VerschrĂ€nkung. Das bedeutet, dass ich gleichzeitig lebendig und tot bin, bis jemand die Kiste öffnet und die Beobachtung stattfindet.

  3. Markus Gabriel

    Jacques Derrida, der BegrĂŒnder der Dekonstruktion, schrieb, nachdem er eines Tages nackt im Badezimmer vom Blick seiner Katze beschĂ€mt worden war, den Text „L’Animal que donc je suis“/„Das Tier, das ich also bin“. Ein Text, in dem es nicht nur darum geht, der fundamentalen Frage nachzugehen, was der Mensch, sondern auch, was das Tier sei. Wir lesen: „Das Tier blickt / geht uns an (nous regarde), und wir stehen nackt vor ihm. Denken beginnt vielleicht da.“ In dieses vermeintliche NaheverhĂ€ltnis treibt Derrida also den markanten Titel, der gleichermaßen das Tier, das der Mensch also ist, meint wie auch jenes, dem der Mensch also folge. Damit eröffnet Derrida eine Distanz sowohl im als auch vor dem Begriff, die sich zu einer unabschließbaren sowie mitunter archaischen Jagd nach eben diesem Tier auswachsen wird. Wir haben es mit einem Tier zu tun, dem wir folgen, das wir jagen und das wir in den verschiedensten kulturellen Ausformungen dieser Jagd doch immer wieder verfehlen (mĂŒssen), wiewohl auch uns selbst.

  4. Donarini, Andrea, Niklas, Michael, Paradiso, Nicola, Strunk, Christoph & Grifoni, Milena

    Ein Ă€hnliches Beispiel einer solchen Überlagerung von „lebendig“ und „tot“ findet sich in der Quantenwelt als PhĂ€nomen der optisch induzierten Transparenz. Wird ein Gas von Lasern mit unterschiedlicher Farbe beleuchtet, kann das Licht durch die Anregung der Atome absorbiert werden. Wird jedoch gleichzeitig mit beiden Lasern beleuchtet, können sich die Anregungsprozesse destruktiv ĂŒberlagern und sich damit gegenseitig unterdrĂŒcken, d. h., das Gas absorbiert nicht mehr und wird durchsichtig. Die zusĂ€tzliche Beleuchtung unterdrĂŒckt demnach die Absorption des Lichts. Grifoni et al. (2019), , gelang es, ein solches Schema in einer rein elektronischen Versuchsanordnung zu realisieren, wobei diese eine Kohlenstoff-Nanoröhre enthĂ€lt, die mittels zweier metallischer Elektroden kontaktiert wird. Eine Kohlenstoff-Nanoröhre ist ein Hohlzylinder aus reinem Kohlenstoff mit einem Durchmesser von nur einem millionstel Millimeter, dessen Wand nur eine Atomlage dick ist und dessen elektrischer Leitwert wie bei einem Transistor gesteuert werden kann. Der Stromeingang oder Ausgang in die Nanoröhre erfolgt Ă€hnlich wie die Durchquerung einer DrehtĂŒr, denn Ă€hnlich einer DrehtĂŒr kann nur ein Elektron nach dem anderen herein kommen. Klassisch können sich die Elektronen entweder mit oder entgegen dem Uhrzeigersinn durch die Nanoröhre bewegen. In der Quantenwelt mĂŒssen sich die Elektronen nicht fĂŒr einen Drehsinn entscheiden, sondern sie können eine Überlagerung von beiden einnehmen. Dieses PhĂ€nomen fĂŒhrt, wie in dem optischen Experiment, zur Interferenz: die beiden Alternativen können sich gegenseitig verstĂ€rken (konstruktiv) oder auslöschen (destruktiv). Im ersten Fall gelingt die Durchquerung der DrehtĂŒr leicht, im zweiten Fall wird die DrehtĂŒr blockiert und wird erst nach einiger Zeit wieder frei. Wenn sich die beiden Durchquerungsmöglichkeiten konstruktiv ĂŒberlagern, fließt der elektrische Strom ungehindert, wĂ€hrend er blockiert wird, wenn die Interferenz destruktiv ist. Weil das Elektron in diesem Fall gefangen ist, spricht man in Analogie zur Quantenoptik von einen Dunkelzustand (dark state). Obwohl diese Möglichkeit fĂŒr Elektronen schon seit zwei Jahrzehnten theoretisch vorhergesagt wurde, ist es erst jetzt gelungen dies experimentell nachzuweisen. DarĂŒber hinaus ist es gelungen, den Mechanismus der Blockade in der Nanoröhre zu modellieren und damit zu verstehen. Dieses Experiment ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur kĂŒnftigen Nutzung von QuantenphĂ€nomenen in der Elektronik und Informationsverarbeitung.

    Literatur
    Donarini, Andrea, Niklas, Michael, Paradiso, Nicola, Strunk, Christoph & Grifoni, Milena (2019). Coherent population trapping by dark state formation in a carbon nanotube quantum dot. Nature Communications, 10, doi:10.1038/s41467-018-08112-x.

  5. Es waren einmal zwei BrĂŒder – Ying und Yang.

    Auf einem hohen Berg in der NĂ€he ihres Dorfes lebte ein alter Greis, von dem die Leute sagten, dass er alles wisse. Die beiden Jungen hatten sich nun in den Kopf gesetzt, dem alten Greis eine Frage zu stellen, die er nicht beantworten konnte.

    Stundenlang saßen sie auf einer Wiese und ĂŒberlegten und ĂŒberlegten, welche Frage sie dem Alten stellen könnten. Ying kletterte auf einen Baum, um besser ĂŒberlegen zu können. Auf einem Ast neben ihm saß ein kleiner Vogel, der leise zwitscherte. Ganz plötzlich schnappte Ying sich den Vogel und hielt ihn in seiner Hand fest.

    Als er zu seinem Bruder Yang hinunterkam rief er: “Ich hab’s! Ich weiß, was wir den Alten fragen werden.” Er zeigte seinem Bruder den Vogel in seiner Hand und sagte: “Wir fragen ihn, was ich in der Hand halte!”

    “Er wird antworten, dass du einen Vogel in der Hand hĂ€ltst.” erwiderte Yang wenig begeistert.

    Ying sagte: “Ich weiß. Aber dann werde ich ihn fragen, ob der Vogel tot oder lebendig ist! Und wenn er sagt, dass der Vogel lebt, dann drĂŒcke ich meine HĂ€nde zusammen. Wenn er aber sagt, dass der Vogel tot ist, dann lasse ich ihn fliegen!”

    Diese Idee fand auch Yang gut und so rannten sie aufgeregt den Berg hinauf zu dem alten Mann. Schon von weitem riefen sie: “Alter Mann, wir haben eine Frage fĂŒr dich!”

    Der Greis saß meditierend vor seiner HĂŒtte. Die beiden Jungen standen atemlos vor ihm. Nach einer Weile öffnete er langsam die Augen und blickte die beiden zappeligen Jungen an.

    “Alter Mann, wir haben eine Frage an dich!” sagte Yang.

    “So fragt.” antwortete der Greis.

    “Alter Mann, was halte ich hier in der Hand?” fragte Ying und die BrĂŒder starrten den Alten gespannt an.

    Er schloss die Augen, dachte einen Augenblick nach und öffnete sie wieder. Er sagte:” Du hast einen Vogel in deiner Hand.”

    Ying guckte siegesgewiss zum Greis und fragt: “Nun denn. Weiser Mann, ist der Vogel tot oder ist er lebendig?”

    Daraufhin schloss der Greis seine Augen wieder. Ying und Yang wurden ganz ungeduldig und als er endlich seine Augen wieder öffnete, sprach er: “Mein Sohn. Ob der Vogel tot oder lebendig ist, das liegt ganz in deiner Hand.”

    Quelle
    Die beiden BrĂŒder, der Greis und der Vogel.
    WWW: http://www.zeitzuleben.de/2711-die-beiden-bruder-der-greis-und-der-vogel/ (13-03-17)

  6. Jaques

    Als entscheidend fĂŒr die tierphilosophische Entwicklung von Derrida ist die Begegnung mit seiner Katze im Badezimmer, die er in „L‘animal que donc je suis“ beschreibt: „Das Tier schaut uns an und wir stehen nackt vor ihm. Und vielleicht beginnt das Denken an genau dieser Stelle“ (1999, S. 260). Derrida meint in diesem Essay, ein SchamgefĂŒhl durch den Blick seiner Katze zu fĂŒhlen, weil er nackt im Badezimmer stand. Die Katzenaugen waren fĂŒr ihn in dieser Situation ein Spiegel fĂŒr das autobiografische Ich.

    Derrida, Jacques (1999). L‘animal que donc je suis. Paris GalilĂ©e.

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