Vorbereitung ist alles. Schon Wochen vor der Abreise hatte Krösswang die Packliste für seinen großen Reisekoffer auf dem Smartphone erstellt. Zum Glück konnte er dabei auf frühere Listen zurückgreifen, die er dann nur für den jeweiligen Zweck adaptieren musste. Um nicht in Stress zu geraten, war es seine Angewohnheit, diese Liste mindestens eine Woche vor dem ersten Reisetag in ihre finale Form zu bringen. Im Tagesabstand eintreffende Nachrichten von seinem digitalen Kalender hatten ihn wie üblich mehrmals an diese Aufgabe erinnert. Wenig überraschend war es daher, dass diese Liste in den letzten Tagen kaum noch Veränderungen oder Ergänzungen erfuhr. Krösswang hasste Überraschungen.
Seine Listen umfassten auch zahlreiche Verrichtungen, die wenig mit dem Kofferpacken zu tun hatten, etwa das Unterbrechen seines Zeitungsabonnements, die Aktivierung der automatischen Lichtschaltung zur Abschreckung von Einbrechern während seiner Abwesenheit, das Abschalten des Warmwasserboilers und der Programmierung der Wohnungsheizung in der kalten Jahreszeit. Der Umfang dieser Listen hing demnach nicht nur vom Zweck der Reise und vom Zielort, sondern auch von der jeweiligen Jahreszeit ab, in der Krösswang seine Reise unternahm. Besonders stolz war Krösswang auf jenen Teil der Liste, der über ein angeschlossenes Tabellenkalkulationsprogramm bei der Eingabe der geplanten Reisetage automatisch die Anzahl der erforderlichen Unterwäsche und Oberbekleidung berechnete und in die Liste eintrug.

Ein besonders bedeutsamer Abschnitt dieser Liste war jener mit den Gegenständen, die Krösswang in den Koffer zu packen gedachte. Bei diesen Gegenständen handelte es sich vorwiegend um Kleidungsstücke, die er für die Reise benötigte. Schon im Verlauf der Woche vor der Abreise beziehungsweise dem Kofferpacken hatte er im Schlafzimmer Hemden, Pullover und Pullunder, Sakkos und Hosen auf einer Stange gemäß seiner Liste aufgehängt. Da Krösswang seit einigen Jahren alleine lebte, nutzte er die freie Hälfte des Ehebettes, um die übrigen Kleidungsstücke wie Unterhemden, Unterhosen und Socken übersichtlich für das Packen bereit zu legen. Das zur Mitnahme geplante Schuhwerk wurde auf dem Vorleger der unbenutzten Ehebetthälfte bereitgestellt. Die Toilettetasche, die ebenfalls im Koffer Platz finden musste, wurde unabhängig davon im Badezimmer anhand eines speziellen Abschnitts seiner Liste befüllt und erst am Packtag zu den Gegenständen ins Schlafzimmer gebracht. Aus seinem Elternhaus mitgebracht hatte Krösswang die Verwendung von Seidenpapier als Zwischenschicht zwischen den zu verpackenden Kleidungsstücken, sodass ein Stapel davon neben dem Koffer bereitgelegt wurde.

Eine wichtige Entscheidung war die Wahl der Koffergröße, die Krösswang erst am Packtag angesichts der zu verstauenden Gegenstände traf. Hatte er sich für den passenden Koffer entschieden, breitete er auf der von ihm zum Schlafen benutzten Hälfte des Ehebetts eine Schutzdecke aus, auf die er den Rollkoffer lagern konnte, ohne dass die möglicherweise noch von der Benutzung bei der letzten Reise vorhandenen Schmutzspuren auf den Rädern solche auch auf seiner Bettwäsche hinterlassen konnten.

Nun konnte Krösswang das konkrete Kofferpacken in Angriff nehmen und den umlaufenden Reißverschluss des Koffers öffnen und ihn auf der Schutzdecke entfalten. Die in beiden Hälften des Koffers jeweils in den Ecken befestigten vier Spannbänder hängte er nach außen, entnahm die Netztasche mit zwei ungleich großen getrennten Abschnitten, und warf die für die Reise praktischerweise stets dort vorrätig gehaltenen Schuhsäcke mit Zugband zu den auf dem Bettvorleger stehenden Schuhen.

Nun lagen die beiden Kofferhälften erwartungsvoll vor Krösswang, wobei sie sich dadurch unterschieden, als auf der linken Seite der Boden durch die beiden Schienen unterbrochen war, in denen die höhenverstellbaren Teleskopgriffe liefen, während auf der rechten Seite der Boden des Koffers bis auf die seitlichen Rundungen glatt war.
In der Regel begann Krösswang damit, die Schuhe in die Schuhsäcke zu stecken, wobei er aus Platzgründen diese zuvor mit Socken und anderen größenmäßig geeigneten Utensilien füllte. Zu diesen gehörten etwa eine auf die Länge der Reisen abgestimmte Anzahl von Papiertaschentüchern, eine analog berechnete Zahl an Packungen der für ihn unentbehrlichen Fisherman’s Friends, eine für die Toilettetasche zu große Flasche von Sonnencreme oder das Ladegerät für sein Smartphone. Die schließlich mit dem Zugband verzurrten Schuhsäcke wurden nun so in den linken Teil des Koffers gelegt, dass jeweils ein Schuh links und ein Schuh rechts der die Teleskopgriffe führenden Schienen zu liegen kam. Dabei achtete Krösswang darauf, dass in der oberen Hälfte des Koffers ausreichend Platz für seine in zwei Abschnitte unterteilte und mit einem Klettverschluss zusammengehaltene Toilettetasche blieb, die er je nach Höhe des jeweiligen Koffers bzw. vorhandenen Platzes zusammengeklappt oder eben auseinander gefaltet platzieren konnte. Manchmal nutzte Krösswang ein Maßband, um das im Badezimmer gefüllte Behältnis auszumessen und den entsprechenden Raum im linken Teil des Koffers bereit zu halten, doch mit der Zeit hatte er die dafür notwendig einzuplanenden Dimensionen im Gefühl. Um den Platz auszunutzen, wurden in den linken Kofferabschnitt auch die Dose mit dem feuchten Toilettenpapier verstaut, die der diesbezüglich sehr auf Hygiene bedachte Krösswang auf allen seinen Reisen mitnahm, ebenso das kompakte, mit zahlreichen Werkzeugen versehene Schweizer Messer, das ihm bei früheren Hotelaufenthalten schon gute Dienste erwiesen hatte, wenn es etwa darum ging, einen Heizkörper zu entlüften, einen defekten Föhn zu reparieren oder das Haarsieb der Dusche von Rückständen zu befreien. Krösswang wollte auch in dieser Hinsicht unabhängig und nicht auf das in der Regel nicht sofort verfügbare Hilfspersonal eines Hotels angewiesen sein. Um den linken Teil des Koffers einigermaßen flach zu gestalten, füllte Krösswang die Räume zwischen den Schuhsäcken und den anderen dort platzierten Utensilien mit Hilfe seiner Unterwäsche, bei der die eine oder andere Falte keine bedeutsame Rolle spielte.
Nun nahm er den rechten Teil des Koffers in Angriff. Zuerst wurden die T-Shirts und Hemden eingelegt, wobei er diese direkt von der Kleiderstange stets mitsamt dem dünnen Kunststoffbügel verstaute, sodass sie vor Ort nur noch in den Kleiderschrank gehängt werden mussten. Dafür legte Krösswang die Hemden quer in den Koffer, wonach er den Kleiderbügel in den zugeknöpften Hemdkragen hineinschob, dort an der Kofferkante ausrichtete, die Ärmel vor der fiktiven Brust positionierte und dann die untere Hälfte des Hemdes über das Oberteil schlug und glatt strich. Gleiches geschah mit den T-Shirts, wobei es bei diesen meist ausreichte, die kurzen Ärmel an der Schulternaht einzuschlagen. Zwischen jedes Kleidungsstück legte Krösswang eine Lage Seidenpapier, um die Bekleidung möglichst faltenfrei an den Bestimmungsort transportieren zu können.

Bei Hosen galt es zu differenzieren, denn während kurze – die Krösswang selten aber doch bei sommerlichen Reisen mitführte – einfach in der Mitte gefaltet längs eingelegt wurden, war es bei langen Hosen erforderlich, diese mit dem Bund an einer kurzen Seite des Koffers auszurichten und erst nach einem Blatt Seidenpapier den Unterteil des Beinkleids darüber zu falten. Es versteht sich, dass bei mehreren Hosen diese in der Richtung abwechselnd gelegt wurden, da der Bund der Hosen etwas höher daherkam und so ein Ausgleich geschaffen werden musste. Einige Zeit lang hatte Krösswang für Hosen die Rolltechnik versucht – bei dieser wird die Hose am unteren Ende beginnend um eine Papierröhre gewickelt, um einen möglichen und unschönen Knick oberhalb des Knies zu vermeiden -, doch war er davon wieder abgekommen, da sich hier der Höhenausgleich beim Packen schwieriger als bei der Falttechnik gestaltete.

Bei manchen Pullundern und dickeren Pullovern verzichtete Krösswang auf den Kleiderbügel und das Seidenpapier, da diese am Zielort meist in Fächern gelagert werden konnten und von Natur aus nicht zu Falten neigen. Manchmal verstaute er besonders dicke Wollpullover auch im linken Abschnitt seines Koffers, wohin er in der Regel auch sein Nachthemd platzierte, da auch dieses nicht unbedingt einen gebügelten Eindruck hinterlassen musste bzw. nach der ersten Nacht ohnehin die eine oder andere Falte zeigte. Zuoberst kamen je nach Jahreszeit auch die Sakkos, die dann mit aufgestelltem Kragen und mit der Futterseite nach unten eingelegt, die Ärmel wie bei Hemden positioniert und gleichfalls von unten nach oben umgeschlagen wurden.

Beim anschließenden probe- und kreuzweisen Schließen der Spannbänder zeigte sich, ob die Füllung mit Kleidungsstücken ausreichte, oder ob der noch vorhandene Leerraum zur Sicherung vor einem Verrutschen beim Transport mit Luftpolsterkissen fixiert werden musste. Krösswang hatte davon einen größeren Vorrat angelegt, den er bei Paketlieferungen mit verschieden umfangreichen Polsterkissen laufend ergänzte. Früher hatte er dafür gewöhnliche Luftpolsterfolie verwendet, die er dann mehrfach gefaltet in passendem Umfang eingelegt hatte. Luftpolsterkissen waren die bei weitem elegantere Methode.

Danach wurde die Netztasche auf der rechten Hälfte des Koffers unter den Spannbändern zur Fixierung der Kleidungsstücke verwendet. In dieser zweiteiligen Netztasche befanden sich in der Regel im kleineren mit einem Reißverschluss gesicherten Abschnitt der Kugelschreiber und sein Moleskine, während er im anderen größeren eine aktuellere Computerzeitschrift, die er noch nicht gelesen hatte, oder zuweilen auch ein dünneres Buch verstaute, die ihm am Zielort als Lektüre vor dem Einschlafen dienen konnten. 
Obwohl Krösswang schon während des Kofferpackens immer wieder sein Smartphone mit der abzuarbeitenden Liste konsultiert hatte, wurde vor dem Verschließen des Koffers diese noch einmal Punkt für Punkt durchgegangen, um auch nichts zu vergessen. Er prüfte bei diesem Durchgang auch die noch auf der Stange hängenden bzw. auf der unbenutzten Betthälfte liegenden Kleidungsstücke, die nicht verstaut worden waren, da er diese am Reisetag anzuziehen gedachte. Nachdem auch dieser selbstredend in Krösswangs Liste vermerkte Punkt (letzter Koffercheck vor dem Schließen) abgehakt werden konnte, wurden die Spannbänder der linken Seite festgezogen. Nun konnte das Kofferpacken abgeschlossen werden, indem Krösswang die durch die Netztasche gut gesicherte rechte Hälfte auf die linke kippte und nach einer Vierteldrehung des Koffers den zweiteiligen Reißverschluss zeitgleich jeweils auf der Scharnierseite beginnend um die schmalen Seiten herum auf die vordere Längsseite mit dem Koffergriff zog und die beiden Zippverschlusslaschen in die dafür vorgesehenen Schlitze des mit einer Zahlenkombination gesicherten TSA-Schlosses steckte, das eine beschädigungsfreie Untersuchung durch Zollbehörden ermöglichte. Nach dem Einrasten der Zipplaschen drehte Krösswang zur Erhöhung der Transportsicherheit die mit Rillen versehenen Räder neben den einzelnen Ziffern an dem Zahlenschloss in zufällige Positionen, die keinen Rückschluss auf seinen Code ermöglichten. Nun hob er den Koffer am Koffergriff vom Bett und prüfte dabei das Gewicht durch ein Beugen seines rechten Armes. Schließlich platzierte Krösswang den Koffer mit den vier Doppellaufrädern auf dem Teppich vor dem Bett, zog den Griff der Teleskopstange in die oberste Stellung und rollte mit einem Seufzer der Befriedigung den Koffer aus dem Schlafzimmer in das angrenzende Vorzimmer, wo der Koffer seinen Platz nah an der Wohnungstüre neben der Garderobe erhielt.

Krösswang hatte den Koffer gepackt.