Der persönliche Feiertag

Der persönliche Feiertag

„Erwin, hast du das gelesen?“

„Ich bin schon fast eingeschlafen. Hat das nicht bis morgen Zeit?“ brummt dieser.

Erwin lag wie jeden Tag im gemeinsamen Bett mit dem Rücken zu Eva, da diese vor dem Schlafengehen im Schein der Nachttischlampe noch ein wenig in der Zeitung blättern wollte. Wie jeden Tag.

„Die Regierung erlaubt uns jetzt, einen Tag im Jahr als persönlichen Feiertag zu wählen.“

Erwin reagierte nicht.

„Einen persönlichen Feiertag“, wiederholte sie und stupste mit der linken Hand Erwins Rücken.

„Lass mich schlafen, ich bin müde.“

„Stell dir vor, wir können jetzt unseren Hochzeitstag immer gemeinsam feiern, wenn wir uns an dem Tag frei nehmen.“

Erwin hob den Kopf ein wenig und erwiderte: „Aber es soll doch ein persönlicher Feiertag sein und kein Familientag.“

Eva hatte seine Antwort halb überhört und setzte fort: „Da könnten wir unsere Eltern einladen … und gemeinsam etwas unternehmen.“

„Die werden den Teufel tun“, brummelte Erwin. „Und wenn ich schon einen persönlichen Feiertag bekomme, dann suche ich mir schon persönlich aus, wofür.“

„Wir könnten auch meinen Geburtstag wählen. Oder deinen“, fügte Eva rasch hinzu.

„In meinem Alter ist der Geburtstag eher nichts zum Feiern, denn besaufen kann ich mich wann immer ich will.“

„Das machst du dann aber ohne mich!“

„Sag ich ja! Und jetzt will ich schlafen.“

„Dann fahre ich an meinem Feiertag halt mit meinen Freundinnen in eine Wellnessoase“, konterte Eva trotzig.

„Gute Idee“, murmelte Erwin, „dann hab ich wenigstens einen Tag meine Ruhe.“

„Was willst du damit sagen?“

Erwin zog die Tuchent über seinen Kopf: „Dass ich jetzt einfach schlafen will.“

„Immer willst du schlafen, wenn ich mit dir etwas Wichtiges besprechen möchte.“

Erwin seufzte und überließ Eva eine Weile die Kommunikation. Als sie merkte, dass Erwin auf keine Fragen mehr reagierte, faltete sie die Zeitung geräuschvoll zusammen und drehte das Licht ab: „Das ist wieder typisch!“

Sie war schon am Einschlafen, als sich Erwin noch einmal aufrichtete und bestimmt verkündete: „Ich werde heuer mit meinen Arbeitskollegen zum Champions League Finale fahren.“

Dann Stille. Eva zog sich die Tuchent über den Kopf. Irgendwann begann Erwin zu schnarchen.

Dieser abendliche Disput liegt schon einige Jahre zurück, und Eva und Erwin wählten erwartungsgemäß getrennte persönliche Feiertage. Doch nun wählten sie überraschenderweise erstmals einen gemeinsamen Feiertag.

Sie nutzen ihn für den Besuch beim Scheidungsrichter.


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