Kategorie: Dichtung
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Lyrische Miniaturen I
Ufer Das Ufer des Meeres hat keine Wahl, Es muss akzeptieren, was immer die Gezeiten bringen … und nehmen. Muscheln Ich berge die Muscheln aus dem flüsternden Sand, die von weißen Schiffen erzählen und ihrem Flug zu fremden Ufern. Vollmond Die Hunde sind still, auch wenn der Mond voll ist. So fällt in ihr Schweigen…
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Geister
Ein Flur voll schattenloser Lampen fällt ins Dunkel Gemeinsam mit dem Bersten gläs’ner Kugeln. Glas ist nun überall, und so zersplittert, dass es vergisst Das schwache Glimmen deines Steichholzscheins zu spiegeln für deine letzte Zigarette. So ist sie also. Die Endlichkeit des letzten Wunsches. Ich kenn’ die Toten, ich weiß, wohin die Geister gehen, Um…
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Kollateral.Fragen.Chronologie
Welche Farben hat die Flagge, mit der jedes Jahr am 1. Januar die Denkmäler von Stepan B. geschmückt werden? Hat Heinz F. am 24. Juni 2014 in der Wirtschaftskammer in W. die rechte oder die linke Schulter von Wladimir P. gestreichelt? In welcher Sprache müssen seit dem 1. September 2020 die russischsprachigen Schülerinnen und Schüler…
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Morgenmond
Der trübe Schatten eines Morgenmonds? Nein, nur der Schnee, der auf die Erde schwebt. Der Nebelschleier erblühender Blumen? Nein, nur die Poesie, die auf zum Himmel lächelt. Übertragung des Gedichts „The faint shadow of the morning moon?“ von Yone Noguchi in „Selected Poems of Yone Noguchi“ (The Four Seas Company, 1921).
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Der persönliche Feiertag
„Erwin, hast du das gelesen?“ „Ich bin schon fast eingeschlafen. Hat das nicht bis morgen Zeit?“ brummt dieser. Erwin lag wie jeden Tag im gemeinsamen Bett mit dem Rücken zu Eva, da diese vor dem Schlafengehen im Schein der Nachttischlampe noch ein wenig in der Zeitung blättern wollte. Wie jeden Tag. „Die Regierung erlaubt uns…
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Petrichor
Daheim, das war die Zimmerküchewohnung im einstöckigen Vorstadthaus. Es steht schon lang nicht mehr. Daheim, das waren die Gassen und Trottoirs im Bezirk, der gern verzögerte Schulweg. Ihre Namen sind verblasst. Daheim, das waren Menschen und Gedanken, die die Tage und Nächte querten. Sie sind verschollen. Die Bilder und Stimmen verschwommen, die Fassaden verputzt und…
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Vom Dichter zum Schreiberling
Schon als Kind wollte ich Schriftsteller werden, oder besser: Dichter. Der Unterschied war mir damals noch nicht bewusst, denn alles Sprachliche schien mir zu dieser Zeit mit einem Zauber verbunden, waren es nun die Märchen und Sagen, die mir meine Mutter und meine Tante vorlasen, oder waren es die Lieder, die in der Familie gesungen…