GEH DEN WEG, DEN DIR EIN BLINDER WEIST

w.s. scripsit, 1965

1
geh den weg, den dir ein blinder weist,
denn deine augen lügen;
die farben zeichnen nicht den unterschied,
sie sind nur traum.
hör nicht die worte, die ein stummer spricht,
denn deine lippen schweigen;
die töne sprechen eine fremde sprache,
sie sind nur illusion.
glaub den gebeten, die ein tauber hört,
denn deine ohren trügen;
gedanken sind nur ein vermuten,
sie sind von dieser welt.

2
die kinder hinter den mauern
spielen deine vergeblichen spiele.
dein sieg ist triumph über den augenblick,
deine tränen eingeständnis,
deine hoffnung letztes genießen.
die kinder hinter den mauern
beten deine träume,
doch du fürchtest ihre tränen.

3
hinter den hügeln des grauen sterbens
bricht der strahl einer drohenden sonne
strafend hervor.
die lieder quälen die toten herzenin ihrer schweigenden ohnmacht.
die hände gleißen ihre weiße unschuld
dem blinden himmel.
die schatten der götter
drängen sich in vertraute gestalten,
die schritte zertreten die träume,
teilen leben und untergang.
flehende stimmen zerschneiden augenblicke
in entsetzen.
die züge der bebenden gestalten
verbinden horizont mit horizont,
posaunenschrei versammelt ewigkeit.
gericht.
und du verbirgst dich
hinter deinem zweifelnden glauben.

4
blutregen fällt in die dürstenden weiten
aufbricht
die wunde der erinnerung
der strom der lügen ergießt sich in die ermatteten wüsten
der adler tod
zieht seine kreise über den dampfenden wipfeln
haß schreit dich an
verloren sind die schwelenden hoffnungen
zerborsten die stämme des lebens
lavaschwall presst aus den schlünden
wahrheit
geschwärzt von den flammen des unterganges
verbirgt sich das licht in den zerschlagenen atomen
aus dem nichts rührt die hand der unendlichkeit
an den saiten der totenharfe
die stimmen zerschreien die ordnung
des göttlichen aktes
es krallt sich entsetzen in deine brust
dringt in den schlag deiner schritte
ohnmacht zerschlägt dein walten
der purpur der altäre
fällt unter den schlägen schweigender blitze
chaos zeugt eine neue ordnung
und du, staubkorn,
zitterst?

duerre
[Foto: Franz Reitinger]


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