E I N E N E U E W E L T
es ist lange her, daß ich mich zur schreibmaschine gesetzt und ein gedicht oder eine erzählung geschrieben habe. zwar gab es vieles, das ich erzählen hätte können, doch einsamkeit und sorgen sind schlechte dichter. auch heute ist ein tag, an dem ich alleine bin, doch ich weiß, daß diese einsamkeit in zehn tagen zu ende sein wird. ein andrer schreiberling hätte jetzt vielleicht ein glühendes liebesgedicht geschrieben und von der sehnsucht und von der ach so langsam verrinnenden zeit geklagt. vielleicht hätte ich es früher genauso getan, doch etwas sagt mir, daß ich es nicht tun darf, weil … ich weiß keine Begründung, doch ich fühle es. nicht jedes Wort wird wohlgesetzt sein, mancher satz wird sich gegen die regeln der grammatik winden, doch was sind worte, was sind sätze gegen den flug der gedanken. jedes wort, jeder satz, jede seite werden ein neues tor aufstoßen, ein tor in eine neue welt.
erinnerst du dich noch daran? du, nein, ich sagte, sie eröffnen mir eine neue welt.
verzeih mir, wenn ich du zu dir sage, doch ist es nur in diesen zeilen. wie leicht hätte ich dich bitten können, daß wir du zueinander sagen und vielleicht hättest du es auch getan. vielleicht hast du es dir gewünscht und findest es albern, daß wir noch bei dem förmlichen sie bleiben. doch gerade bei dir fiel es mir schwer. frag mich nicht, warum ich es getan habe. oder besser, warum ich es nicht getan habe. trotzdem will ich es zu erklären versuchen.
als ich dich in das theater begleiten durfte, und wir im rathauspark auf einer bank saßen, da war ich glücklich. ich wollte zu dir sagen: lassen wir das sie, wir beide sind doch junge menschen, die gemeinsame interessen haben und die miteinander über alles plaudern können, und da stört es doch, wenn man immer sie sagt. du, dir, dich, dein kommt doch viel leichter über die lippen als das sie und das ihr. doch ich bat dich nicht um das du. und als wir dann in unseren gesprächen immer mehr dinge fanden, die uns beiden gemeinsam waren, als es immer selbstverständlicher wurde, daß wir du sagen, da fühlte ich auf einmal, daß das sie, dieses förmliche und steife wort, einen sinn in sich trägt. und daß das du dann viel mehr wert ist, als wenn es gleich von anfang an auf unseren lippen gelegen wäre. und da wußte ich, daß wir noch zeit haben, auf dieses du zu warten, auf das persönliche und das herzliche du. ich weiß, daß ich eines tages zu dir du sagen werde und ich freue mich schon auf diesen tag. und diese freude erhöht den wert dieses einen wortes: du. vielleicht verstehst du mich, und vielleicht sagst du eines tages, daß du genauso gefühlt hast. ich fühle, daß es so richtig war. fühlst du es auch?
und es gab noch etwas, das mich fast gezwungen hat, sie zu sagen. als ich mit dir im theater saß, als du neben mir saßest, als wir in der pause über das stück sprachen, da fühlte ich plötzlich, daß ich für dich mehr empfand, als ich mir eingestehen wollte. nur einen augenblick lang spürte ich ein feuer, ein auflodern. ein gefühl des glücks erfüllte mich. wenn ich in diesem Augenblick zu dir gesagt hätte: ich liebe dich, dann hättest du mich vielleicht ausgelacht, vielleicht hättest du mich stehen lassen und vielleicht hättest du mich nie wiedersehen wollen. aber es war nicht die angst, dich schon am ersten tag zu verlieren, die mich schweigen ließ. es war das bewußtsein an das schöne dieses augenblicks, an das unbegreifliche schweben zwischen der realität und der unendlichkeit des fühlens. in diesem augenblick war mir, als hättest du mich verstanden und als hätten worte alles doch nur zerstört.
ein wenig angst habe ich auch, daß du mich auslachst und daß du mir sagst, daß du von alledem nichts gemerkt hast. daß du mein gefühl nicht erwidern kannst. und ich muß dennoch weiterschreiben, weil ich eben fühle, daß du mich verstehst und daß du in diesem augenblick genauso empfunden hast. ich glaube daran.
als ich dich heute morgen anrief und dir sagte, daß ich nicht auf den tennisplatz kommen kann, da zwang mich etwas, alles in Bewegung zu setzen, dich noch einmal sehen zu können. noch einmal, bevor du für zehn tage fortfährst. ich wollte eine bestätigung haben für diesen augenblick, ich wollte mir selber beweisen, daß mein gefühl für dich nur ein auflodern eines rasch in sich zusammensinkenden feuers war. daß es schwärmerei, angst vor der einsamkeit war. daß es nicht liebe war.
und ich bin auf den tennisplatz gekommen, ich habe mit dir gesprochen, ich habe mit dir gespielt. ich habe dich gesehen. du wirst jetzt fragen, zu welchem schluß ich gekommen bin.
heute kann ich dir noch keine antwort geben. vielleicht morgen, vielleicht in zehn tagen, vielleicht in einem jahr. vielleicht nie.
du bist ein wunderbares mädchen. ich darf das sagen, weil ich dich in den wenigen stunden unseres beisammenseins besser kennengelernt habe, als ich viele anderen menschen kenne, mit denen ich tausenmal länger gesprochen habe. dieses kennen kann ich mit meinem verstand nicht begreifen, dieses verstehen ist einfach da, wie die sonne da ist, auch wenn sie hinter den wolken verborgen ist. wenige strahlen erst habe ich gesehen, doch diese strahlen sind ein versprechen auf noch tausendmal schöneres.
zehn tage habe ich zeit, mich selber zu prüfen und mir selber die frage vorzulegen, ob ich dir sagen kann, daß ich dich liebe. ich kann diese zeit nicht in gedanken messen, ein augenblick kann alles schon entscheiden. es kann der augenblick sein, in dem ich dich wiedersehe. es kann sein, wenn ich mit dir in eine ausstellung gehen darf. es kann während eines konzertes sein, in das ich dich einladen möchte, es kann während eines gespräches sein. es kann in diesem augenblick sein, in dem ich diesen buchstaben anschlage, es kann sein, wenn ich vor dem einschlafen an das wiedersehen denke, wenn ich von dir träume, wenn ich am morgen aufwache und die sonne zwischen den blättern der jalousien sehe.
eines will ich dir versprechen: niemals werde ich zu dir sagen, daß ich dich liebe, wenn ich nicht fühle, daß es für immer sein wird und daß es die wahrheit ist. nur eines weiß ich: ich denke an dich!
I M P R E S S I O N E N I N E I N E R N E U E N W E L T
seit ich dich kenne, hat die welt ein neues, schöneres gesicht. du weißt, daß ich heute nachmittags zu meiner versicherung gefahren bin. zuerst wollte ich den wagen nehmen, doch dann entschied ich mich für den autobus.
du wirst dir vielleicht denken: was ist daran so besonderes, daß du – vielleicht sagst du in gedanken auch du zu mir – mir es erzählen willst? doch es war etwas besonderes, für mich war es, als ob ich zum ersten mal diesen weg gegangen wäre.
schon im autobus begann es: ich fuhr bei der station vorbei, bei der ich gewartet habe. und ich fühlte deine nähe. in gedanken war ich in der straße, in der du wohnst. ich kenne sie gut, denn sie hat beinahe dieselbe richtung wie die vierthalergasse. sie hat eine besondere richtung. nicht nord-süd oder ost-west, sondern eine individuelle, eben eine besondere.
weißt du, wie schnell mir mit meinen gedanken die fahrt vergangen ist? und als ich dann in der operngasse ausstieg, da dachte daran,
wie du vor zwei tagen neben mir gegangen bist. und die grauen häuserfacaden hatten etwas besonderes. die ampeln schienen heller zu leuchten als sonst, die welt schien bunter und lebendiger als sonst. am liebsten hätte ich laut gesungen, ich hätte die welt umarmen mögen.
ich ging an der oper vorbei, durch die arkaden, vorbei an den brunnen und der wind trug silberhelle wassertropfen herüber. und ich fühlte den kühlen hauch in meinem gesicht, und ich suchte den regenbogen, den ich sonst immer in den wasserfontänen fand, doch dieses mal fand ich ihn nicht und doch war er da. strahlender und leuchtender als sonst. er war ein gedanke, ein gedanke an dich.
und als ich mich im strom der menschen auf der kärntnerstraße treiben ließ, schienen mir die menschen freundlicher und lachender, in jedem gesicht sah ich die neue welt. und ich hörte fremde sprachen. und als eine amerikanische touristengruppe an mir vorüberredete, da mußte ich die theaterkarte in meinem führerscheinetui herausnehmen, denn eine schöne erinnerung wurde in mir wachgerufen.
und ich hätte jeden menschen grüßen wollen und ich hätte jedem menschen sagen wollen, daß ich dich kenne. und mir war, als wüßten die anderen, daß ich glücklich war. und schwieg, denn das glück ist stumm und doch sagt es mehr als alles andere.
mein cousin ließ mich lange warten, doch das warten wurde mir nicht lang. in seinem zimmer hing nämlich ein bild von dali. und ich mußte an dich denken. überall fand ich ein stück der erinnerung an dich, überall war ein stück der hoffnung auf eine Zukunft.
und als ich dann den weg zurückging fühlte ich mich in der neuen welt gefangen und doch in ihr frei. frei fühlte ich mich. und als ich an der oper vorbeiging, dachte ich nicht an die vergangenheit sondern an die zukunft. an eine zukunft in der neuen welt.
und diese neue welt hast du mir geschenkt.
G E D A N K E N I N D E R N E U E N WELT
ich möchte dir etwas schenken. du weißt, daß ich nicht reich bin, doch ich möchte dir das schönste schenken, was es gibt.
vielleicht ist es ein hufeisen, das ich in einer auslage sehe. rostig und abgetreten. ich werde es putzen und ich werde es zum schönsten hufeisen der welt machen.
vielleicht schenke ich dir eine blume. ein gänseblümchen, das auf einer großen wiese unter tausenden blüht. das schönste werde ich für die pflücken und ich werde es behutsam in meinen händen halten. ich werde es ins wasser stellen und es wird niemals welk werden.
vielleicht ist es ein gedicht, das ich schreibe, wenn ich besonders glücklich bin. vielleicht zehn oder zwanzig worte.
vielleicht ist es ein gedanke. ein gedanke an dich. ein gedanke, der auf den flügeln der sehnsucht den weg zu dir findet.
vielleicht ist es ein augenblick, der wie damals die welt erbeben ließ. die welt drehte sich nur für dich und mich.
vielleicht ist es ein wort. dein name auf meinen lippen.
vielleicht ist es ein schatten.
vielleicht ist es die ewigkeit.
vielleicht ist es liebe.
liebe liebe liebe.
W. S. scripsit 1968