Es gibt ein Buch genannt
„Das Wörterbuch der Engel“.
Jahrzehnte hat es keiner mehr geöffnet,
Ich weiß es, denn als ich es tat,
Knirschte der Einband, die Seiten
Fielen auseinander. Dort las ich:
So zahlreich waren einst die Engel
Wie diese Fliegen,
In der Abenddämmerung
Schwirrten sie ringsum am Himmel.
Du brauchtest beide Arme
Nur um sie fernzuhalten.
Jetzt scheint die Sonne
Durch die hohen Fenster.
Die Bibliothek ruht schweigend.
Engel und Götter kauern zusammen
Im Dunkel fest verschloss’ner Bücher.
So schläft nun dies Geheimnis
In einem der Regale; Fräulein Müller
Kommt jeden Tag vorbei auf ihrer Runde.
Sie ist sehr groß; drum hält sie
Ihren Kopf geneigt, als hörte sie
Die Bücher flüstern.
Ich höre nichts – doch sie …
Nachdichtung von Charles Simic‘ „In the Library“ aus „Sixty Poem“, 2008.