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Eine Kranken(haus)geschichte ohne literarischen Anspruch

An einem Herbsttag wie jedem anderen – vielleicht war er doch ein wenig anders als die anderen, aber das weiß man bekanntlich immer erst im Nachhinein – begleitete die Arbeit am Computer ein Schwindelgefühl, das sich im Laufe des Tages verstärkte und eine schlaflose Nacht einleitete, die am nächsten Morgen mit einem Anruf beim Ärztenotdienst endete.

Eine freundliche Stimme fragte, wie man helfen könnte, und kündigte nach der Schilderung der Beschwerden an, dass ich in ein paar Minuten mit dem Eintreffen des Roten Kreuzes rechnen könnte. Es waren fünf oder zehn Minuten vergangen, in denen ich mich ankleiden konnte, da klingelte es am Haustor. Mit Hilfe der Wand und eines Stuhls tastete ich mich zum Türöffner und schloss auch gleich die Wohnungstür auf. Erschöpft ließ ich mich auf den Stuhl fallen. Da hörte ich zwei Stimmen im Stiegenhaus – ich rief, dass das Haus einen Lift hätte – doch die beiden waren schon an der Wohnungstür, klopften an und traten ein. Ein junger Mann – wie ich später erfuhr, ein Zivildiener im letzten Monat seines Dienstes – und ein blondes großgewachsenes Mädchen, das in diesem Augenblick ein wenig an einen Engel erinnerte, traten ein. Sie stellten einen Koffer mit ihrer Ausrüstung ab. Nach der Schilderung der Beschwerden und der Beantwortung einiger Fragen, der Messung des Blutdrucks entschieden sie, dass sie mich in ein Krankenhaus bringen müssten, um alles abzuklären. Auf die beiden gestützt verließ ich die Wohnung und wurde unter ermutigenden und sorgenden Worten zum wartenden Rettungswagen gebracht, wo ich an einen Stuhl gegurtet wurde. Der junge Mann nahm vor mir Platz und reichte mir „sicherheitshalber“ ein Säckchen, das ich während der kurzen Fahrt unter tröstenden Worten des Begleiters prompt in Anspruch nehmen musste.

Angekommen im Krankenhaus begleiteten mich die beiden zur Aufnahme und brachten mich vor die Triage, wo sie mich mit den besten Wünschen einer Krankenschwester übergaben, die mich in ein Untersuchungszimmer führte, in dem ich sitzend auf den Arzt warten sollte. Sie überreichte mir eine Tasse mit einem Papierhandtuch, falls mir wieder übel werden sollte, was in den nächsten Minuten mehrmals geschah.

Der alsbald eintretende Arzt stellte sich freundlich vor und überprüfte nach Schilderung der bisherigen Beschwerden mit Geduld und ohne jegliches Drängen die beschriebenen Störungen. Er ließ mir Zeit, nach belastenden und die Symptome verstärkenden Bewegungen wieder zur Ruhe zu kommen, und stellte schließlich eine erste Diagnose: transitorische ischämische Attacke. Er erklärte mir, dass es sich dabei um die Form eines kleinen Schlaganfalls handelt, telefonierte und ordnete meine Aufnahme in das Krankenhaus an, um die genaue Ursache abzuklären. Er wünschte mir alles Gute und wenn ich mich recht erinnere, fügte er noch hinzu, dass alles wieder in Ordnung kommen werde.

Schon ein paar Minuten später war ich auf einem fahrbaren Stuhl unterwegs in die neurologische Abteilung, geschoben von einem Zivildiener, der erst vor ein paar Wochen hier begonnen hatte. Auch er verabschiedete sich mit guten Wünschen und gab mir die Hand.

Es sind zu viele fürsorgliche und in der Routine dennoch auf jeden Patienten geduldig eingehende Menschen, die ich hier aufzählen müsste und denen ich in der neurologischen Abteilung in den nächsten fünf Tagen begegnete.

Seien es die Krankenschwestern, die den Blutdruck oder die Temperatur maßen, Blut abnahmen oder mich mit dem Überwachungscomputer verkabelten oder von diesem entkabelten, alle waren fröhlich und nahmen so Anteil, als wäre man der einzige Patient auf der ganzen Station. Alle stellten sich vor und man bekam schon ein schlechtes Gewissen, wenn man es einfach nicht schaffte, sich all ihre Namen zu merken, etwa den Namen jener Krankenschwester im Nachtdienst, die die wegen der zahlreichen Überwachungsgeräte schlaflosen Nacht und durch das ungewohnte Liegen entstandenen Rückenschmerzen durch einer Massage mit einem erfrischenden Gel linderte, oder die Schwester, die beim Warten auf eine Untersuchung mir die möglichen Ursachen der Verzögerung erklärte und mir dadurch das Gefühl nahm, vielleicht vergessen worden zu sein.

Das in Anspruch genommene Transport- und Begleitpersonal, das vorsichtig und unter Rücksichtnahme auf den im Bett Liegenden, am Stuhl Sitzenden oder neben ihnen Gehenden die manchmal holprigen Liftein- und –ausstiege, Übergänge und Schwellen bewältigte und immer zum richtigen Ziel fand. Auch hier jedes Mal ein freundliches Wort bei der Begrüßung, während des Transportes, der Begleitung oder beim Abschied.

Aber auch das Reinigungspersonal, das höflich und stets unter großer Rücksicht seine Tätigkeiten verrichtete, schenkte mir und allen anderen Mitpatienten immer wieder einen freundlichen Blick. Besonders in Erinnerung blieb mir das vorsichtige Schließen der Zimmertüre, nachdem sie ihre Arbeit verrichtet hatten.

Auch die zahlreichen Ärzte bei der Visite, die sich trotz der großen Zahl an Patienten Zeit ließen, fanden stets ermutigende Worte, erklärten geduldig die Zusammenhänge. Und vor allem machten sie Hoffnung, dass alles ein gutes Ende finden würde. So unterschiedlich sie auch waren – einige blieben in Distanz an ihrem fahrbaren Computertisch, andere setzten sich auf einen Stuhl neben dem Bett oder auch auf die Bettkante -, allen merkte man das Interesse am Menschen an, mit dem sie es zu tun hatten.

Besonders aufmerksam war auch die Untersuchung der kurzzeitig auftretenden Sehstörungen in Form von Doppelbildern durch die Orthoptikerin und die Primaria der Sehschule, die sich nicht nur viel Zeit für ihre Überprüfungen nahmen, sondern immer wieder durch Erklärungen zeigten, dass ein Verständnis des Patienten für seine Symptome diesem bei deren Bewältigung hilfreich sein kann.

Am Tag der geplanten Entlassung, der zufällig mit meinem Geburtstag zusammenfiel, wurde mir von vielen gratuliert bzw. es war schon in den Tagen zuvor immer mein bevorstehender Geburtstag angesprochen worden. Schließlich war mir zwei Tage davor angekündigt worden, dass ich diesen wohl außerhalb des Spitals feiern könnte. Mehrmals wurde ich am Vormittag des Geburtstags gefragt, wie denn nun meine heutige Geburtstagsfeier aussähe. Und als ich antwortete, dass ich diesen Tag allein mit meinem Sohn, der aus Wien dafür angereist war, eher still bei einem gemeinsamen Abendessen begehen würde, wünschte man uns beiden eine schöne Feier, wobei sie lächelnd hinzufügten, dass ein Geburtstag in einem Krankenhaus wohl für niemanden sehr feierlich wäre.

Bei der vormittäglichen Visite an meinem Geburtstag kündigte mir der untersuchende Arzt an, dass er sich mit seinem Gutachten beeilen werde, dass ich schon um etwa dreizehn Uhr den Patientenbrief ausgehändigt bekäme und das Krankenhaus verlassen könnte. Um richtig zu feiern, wie er hinzufügte.

Als ich um dreizehn Uhr, nachdem ich all meine Habseligkeiten verstaut und mich für das Verlassen des Krankenhauses angekleidet hatte, bei der Stationsschwester nachfragte, erhielt ich die Anwort, dass der Primar als Leiter der Abteilung immer alle Berichte noch einmal kontrollierte, aber dass er sie nach Auskunft der Ärzte schon erhalten hätte. Mit Genugtuung nahm ich diesen Umstand zur Kenntnis, denn im Grunde ist das ein Zeichen der Ernsthaftigkeit, wie eine Abteilung geführt wird.

Mein Sohn war inzwischen eingetroffen und wir verließen gemeinsam das Zimmer, in dem ich die letzten Tage verbracht hatte. Dabei sahen wir, wie der Primar, den ich bisher nur aus den im Zimmer aufliegenden Patientenunterlagen kannte, sich mit einigen Ärzten und Schwestern unterhaltend an der offenen Tür des Zimmers vorbeiging. Mein Bett war inzwischen auch neu bezogen worden und daher für eine Neuaufnahme freigegeben. Wir verließen deshalb das Krankenzimmer und begaben uns auf den langen Gang, wo auch ein Mitpatient mit seiner Frau wartete, der gleichzeitig mit mir entlassen werden sollte. Dieser Mitpatient informierte mich auch, dass die Schwestern noch auf die Entlassungsurkunden warteten, dass ihnen die Ärzte aber versichert hätten, dass diese ausgefertigt wären und nur noch den unterschriftlichen Segen des Primars benötigten.

Ich ging daher beruhigt mit meinem Sohn auf einen Kaffee ins nahe Buffet. Nach meiner Rückkehr nahm ich auf einem der Besucherstühle auf dem Gang Platz und sah, wie der Primar telefonierend in einiger Entfernung auf und ab ging. Die Schwestern meinten, dass es nun nicht mehr lange dauern könnte. Inzwischen war es vierzehn Uhr vorbei.

Der Mitpatient war wohl etwas ungeduldiger als ich und suchte immer wieder das Gespräch mit den Schwestern und den vorbeikommenden Ärzten, erhielt aber immer die gleiche Ausunft, dass es nur noch um die Unterschrift des Primar ginge. Dieser sei für ihn nicht ansprechbar gewesen und wäre inzwischen in einem Zimmer am Ende des Ganges verschwunden.

Ich nützte die Zeit, um mit ein paar Gehübungen den noch immer recht unsicheren Gang weiter zu verbessern. Dabei unterhielt ich mich auch mit der Frau des Mitpatienten, die auf Grund meiner Profession einige Fragen zur Erziehung ihres Enkelkindes hatte. Immer wieder kam der Mitpatient, der unruhig auf dem Gang unterwegs war, vorbei und sagte, dass sich noch immer nichts tue. Ich versuchte ihn zu beruhigen, verstand aber seinen Ärger.

Schließlich wurde es sechzehn Uhr, als der Primar den Gang herunter kam und an uns vorüber ging. Mein Mitpatient sprach ihn etwas genervt an und ich unterstützte ihn, indem ich meinen heutigen Geburtstag erwähnte, und dass ich doch auch endlich das Krankenhaus verlassen möchte. Dabei sagte der Mann, dass er doch ohnehin schon auf den Weg in sein Zimmer zur Unterschrift sei. In einiger Entfernung drehte er sich noch um und rief uns zu:

„Ich war Golf spielen!“


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