Lies keine Bücher!
Rezitier kein Gedicht!
Wenn du Bücher liest,
werden die Augen dir verkümmern
und leere Höhlen hinterlassen.
Wenn du Gedichte rezitierst,
wird dein Herz ausrinnen
mit jedem Wort.
Manche sagen, dass Lesen erfreue.
Manche sagen, dass Rezitieren amüsiere.
Aber wenn deine Lippen beständig Töne erzeugen
wie ein zirpendes Insekt im Herbst,
wirst du dich in einen ausgezehrten Alten verwandeln.
Und selbst wenn du dich nicht in einen ausgezehrten Alten verwandelst,
ist es für andere lästig dir zuzuhören.

Es ist besser
die Augen zu schließen,
im Zimmer zu sitzen,
die Vorhänge zu schließen,
den Staub wegzukehren,
ein Räucherwerk anzuzünden.
Es ist so schön dem Wind zu lauschen,
dem Regen zuzuhören,
sie sind voll Lebensduft.
Wenn du dich kräftig fühlst:
geh doch hinaus.
Und wenn du müde bist:
geh schlafen.

fenster


Übertragung eines Gedichts von Yang Wan-Li aus dem 12. Jahrhundert nach den englischen Übersetzungen von Jonathann Chaves und David Hinton.

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Gelesen im Rahmen von FEDERSPIEL ab 15:05:

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Blaise Pascal

    Alle Schwierigkeiten des Menschen kommen daher, dass er nicht fähig ist, alleine still in einem Raum zu sitzen.

  2. Englische Originalübersetzung

    Don’t read books!
    Don’t chant poems!
    When you read books your eyeballs wither away
    leaving the bare sockets.
    When you chant poems your heart leaks out slowly
    with each word.
    People say reading books is enjoyable.
    People say chanting poems is fun.
    But if your lips constantly make a sound
    like an insect chirping in autumn,
    you will only turn into a haggard old man.
    And even if you don’t turn into a haggard old man,
    it’s annoying for others to have to hear you.

    It’s so much better
    to close your eyes, sit in your study,
    lower the curtains, sweep the floor,
    burn incense.
    It’s beautiful to listen to the wind,
    listen to the rain,
    take a walk when you feel energetic,
    and when you’re tired go to sleep.

    (Jonathan Chaves)


    Don’t read books,
    don’t chant poems:

    read books and your eyes wither until they see bones,
    chant poems and every word’s vomited from the heart.

    People say it’s delightful to read books,
    they say it’s wondrous to chant poems,

    but it means lips hissing on and on like autumn insects,
    and makes you thin and frail, ravages you with old-age.

    Thin and frail, ravaged with age—that may not be much,
    but it’s pretty annoying for anyone close enough to hear.

    It’s nothing like closing your eyes and sitting in a study:
    lower the blinds and sweep away the dust, light some incense,

    then listen to wind, listen to rain: they have such flavors.
    When you’re strong, walk. And when you’re tired, sleep.

    (David Hinton)

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