SterzMeine ersten Begegnungen mit der „Freude“ waren ausschließlich solche, in denen ich sie anderen „machen“ sollte, vorwiegend Erwachsenen, insbesondere meinen Eltern. Etwa wenn meine Mutter sagte: „Du könntest mir eine Freude machen, wenn du dein Zimmer aufräumst.“ Oder: „Du könntest mir eine Freude machen, wenn du den Tisch deckst!“ Die „Freuden“ dieser Zeit waren für mich stets mit Arbeit verbunden. Meist mit Tätigkeiten, die eben „keine Freude machten“ oder zumindest nicht leicht von der Hand gingen, da für mich in diesem Augenblick anderes wichtiger war. Mir wurde in der Konfrontation mit „Freude“ allmählich bewusst, dass sie etwas war, was man anderen „machen“ konnte, indem man etwas tat, was einem selber keinen Spaß machte. Mutter sagte nämlich nie: „Du könntest dir einen Spaß machen, wenn du deine Spielsachen wegräumst!“ Oder gar: „Es könnte dir Spaß machen, den Mistkübel auszuleeren!“ Noch weniger sagte sie: „Du könntest dir eine Freude machen, wenn du das Laub im Garten rechst!“ Freude schien damals nie in Zusammenhang mit mir zu stehen. Nie etwas zu sein, was mir zustünde.
„Freude“ hatte für mich somit von Anbeginn etwas Einseitiges, etwas Asymmetrisches. Der eine hatte sie und der andere musste sie geben. Der eine musste etwas tun, was wenig Spaß machte, und der andere hatte daran seine „Freude“. Und der eine, der sie hatte, war immer einer der Großen, der Erwachsenen, und der, der sie geben musste, war immer ich. Oder auch andere Kinder. Auch die wurden häufig dazu angehalten, ihren Eltern oder auch Tanten und Onkeln eine „Freude zu machen“. Richtig euphorisch waren diese aber auch dann nicht, wenn ihnen diese „Freude“ gemacht worden war. Manchmal hieß es: „Endlich“. Sie nahmen sie irgendwie zur Kenntnis, wohlwollend, zufrieden. Zumindest schienen sie nachher besser gelaunt als davor. Man glaubte die „Freude“ der Erwachsenen irgendwie steuern zu können, aber das gelang nur in den seltensten Fällen.
Es gab auch die Steigerungsform: „Damit kannst du mir WIRKLICH eine Freude machen!“ Ich wusste damals zwar nicht wirklich, was „wirklich“ bedeutet, aber es musste etwas Wichtiges sein, denn es wurde bei der Forderung nach der Freude betont: „WIRKLICH!“ Dadurch wurde die „Freude“ selber ein wenig im Gefüge der Forderung danach abgewertet, denn die Betonung lag nicht wie vorher auf dieser, sondern eben auf dem Wirklichen. Irgendwie schienen diese beiden Dinge zusammen zu gehören – „wirkliche Freude“ musste etwas ganz Besonderes sein, denn sie wurde Gott sei Dank eher selten eingefordert. Offensichtlich war die Forderung nach „wirklicher Freude“ die resignierende ultima ratio der Fordernden, denn sie wirkten dabei manchmal „wirklich“ traurig und betroffen, was mit einem betrübt wirkenden Mienenspiel und mit einem „wirklichen“ Kopfschütteln unterstrichen wurde.
Auch der Tonfall spielte eine große Rolle. Er reichte von einem freundlichen, beiläufigen „Freude machen“ über das alltägliche, gewöhnliche „Freude machen“ bis zum vehement fordernden, drohenden „FREUDE machen“. Bei dieser letzten Version der Freude war es angeraten, diese ohne Umschweife und sehr sorgfältig zu bereiten. Ich hatte sie vor allem meinem Vater und auch meinem Großvater zu liefern: „Du könntest mir eine Freude machen, wenn du mir nicht ständig in die Quere kommst!“ Oder: „Du könntest mir eine Freude machen und bessere Noten nach Hause bringen! Sonst kommst du in ein Internat!“ Dieser Ort wurde mir dann als ein freudloser Ort beschrieben. Ich konnte diesem Gedanken einiges abgewinnen, denn wenn es dort weder „Freude“ noch „wirkliche Freude“ gab, durfte sie auch niemand fordern. Doch traute ich der Sache nicht wirklich und bemühte mich, im gewohnten Umfeld „Freude“ und manchmal sogar „wirkliche Freude“ zu verbreiten.
Bei allgemeinen Angelegenheiten wurde häufig die autoritätsverstärkende Mehrzahl eingesetzt, also: „Du könntest uns eine Freude machen, wenn du das nächste Mal keinen Fünfer nach Hause bringst!“ Oder: „Du könntest uns allen eine Freude machen, wenn du in dein Zimmer gehst und dich einfach in Ruhe beschäftigst!“
Ich lernte in dieser Zeit auch, dass „Freude“ in den meisten Fällen mit einem Ausrufezeichen verbunden war. Die „Freude“ Fordernden signalisierten wohl damit, dass sie ihnen äußerst wichtig war. Jedenfalls um ein großes Stück wichtiger als dem, der sie bereiten sollte. Und vor allem sollte durch das Ausrufezeichen das Eintreten der „Freude“ beschleunigt werden.
Dieses Ausrufezeichen führte deshalb manchmal auch zu einem schlechten Gewissen, wenn man diese „Freude“ nicht schnell, nur halbherzig und nicht wirklich überzeugt bereitet hatte. Dann bekam man zu hören: „Also damit hast du uns wirklich keine Freude bereitet.“ Da stand dann am Ende der Feststellung eher keine Ausrufungszeichen, sondern so etwas wie eine fragende, oft auch tiefe und manchmal, wie es mir schien, aufgesetzte Trauer darüber, dass man „keine Freude“ bereitet hatte. Oder noch immer nicht. Zu spät. Vergeblich. Das traf dann wirklich ins Herz und ich beeilte mich, dem anderen dann doch noch irgendeine „Freude“ zu machen. Eine „Ersatz-Freude“. So schnell es mir nur möglich war. Das „wirklich“ hatte dabei einen völlig anderen Klang als das im „Freude fordern“. Und die „wirklich keine Freude“ trat häufig dann auf, wenn vorher überhaupt keine „Freude“ gefordert worden war, sondern oft spontan aus heiterem Himmel, aber auch wenn ich etwas getan hatte, das mir selber Spaß machte. Etwa den Fußball in den Garten des Nachbarn zu schießen, der dann „wenig Freude“ über die sportlichen Aktivitäten der Nachbarskinder zeigte.
Noch heute erinnere ich mich beim Wort „Freude“ an diese frühen Begegnungen mit ihm und bemühe mich in besonderen Fällen sogar, anderen die erwartete „Freude“ zu bereiten. Manchmal sogar eine „wirkliche“.


[Veröffentlicht in Sterz. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kulturpolitik Nr. 103: Freude, S. 5]

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